Migrationsrisiko im Kreditportfolio: Auswirkungen im Internal Ratings Based Approach

Klassische Kreditportfoliomodelle haben eine ökonomische Perspektive und geben entweder im Default- oder Migration-Mode den Credit-Value-At-Risk an: Das ist der Verlust aus dem Kreditportfolio, der mit einem festgelegten Konfidenzniveau (bspw. 99%) mit dem Zeithorizont von einem Jahr nicht überschritten wird. Vielfach wird daraus abgeleitet, wie hoch das ökonomische Mindesteigenkapital bemessen werden muss, um die Ansprüche der Fremdkapitalgeber mit hinreichender Sicherheit vor Verlusten zu schützen.

Will man die Frage beantworten, wieviel Eigenkapital eine Bank benötigt, um mit einem festgelegten Konfidenzniveau das kommende Jahr zu überdauern, muss man, zumindest falls die Bank die Mindesteigenmittel für das Kreditrisiko mit Hilfe interner Ratingverfahren ermittelt, die ökonomische Perspektive um die regulatorische Sicht erweitern.

Beispiel

Nachfolgend ein stark vereinfachtes Beispiel mit nicht ganz exakten Zahlen zur Verdeutlichung. Hierbei werden zunächst bewusst die Verluste durch Ausfälle (=Default-Mode) und Marktwertschwankungen (=klassischer Migration-Mode) ausgeblendet:

  • Positionswerte (EAD): 1.000.000 EUR
  • Anzahl Schuldner: 1.000
  • Ausfallwahrscheinlichkeit (PD): 1,00%
  • Verlustquote (LGD): 45,00%
  • Erwarteter Verlust (PD * LGD * EAD): 4.500 EUR
  • Risikogewicht (RW): 100%
  • Risikogewichtete Positionswerte (RWA): 1.000.000 EUR
  • Sicherheitsniveau IRB: 99,90%
  • Mindesteigenmittelanforderungen: 80.000 EUR
  • Eigenmittel: 110.000 EUR
  • Gesamtkennziffer: 15,00%
  • Sicherheitsniveau nach Puffer: 99,99%

Gegeben die Annahmen des IRB-Formelwerks wäre in dieser Situation zu erwarten, dass innerhalb eines Jahres der Verlust des Portfolios mit 99,90% Wahrscheinlichkeit kleiner sein wird als 80.000 EUR (tritt nur alle 1.000 Jahre auf). Die Bank hält darüber hinaus einen Puffer vor, so dass ein Verlust für die Fremdkapitalgeber mit 99,99% Wahrscheinlichkeit nicht eintritt (bzw. erwartungsgemäß in 10.000 Jahren nur einmal auftritt).

Diese Aussagen unterstellen jedoch die Stabilität der zugrunde liegenden Ratings. Verdoppeln sich die Ausfallwahrscheinlichkeiten (bspw. durch einen wirtschaftlichen Abschwung) ergibt sich folgendes Bild:

  • Positionswerte (EAD): 1.000.000 EUR
  • Anzahl Schuldner: 1.000
  • Ausfallwahrscheinlichkeit (PD): 2,00%
  • Verlustquote (LGD): 45,00%
  • Erwarteter Verlust (PD * LGD * EAD): 9.000 EUR
  • Risikogewicht (RW): 140%
  • Risikogewichtete Positionswerte (RWA): 1.400.000 EUR
  • Sicherheitsniveau IRB: 99,90%
  • Mindesteigenmittelanforderungen: 112.000 EUR
  • Eigenmittel: 110.000 EUR
  • Gesamtkennziffer: 7,86%
  • Sicherheitsniveau nach Puffer: 99,85%

Auch ohne tatsächlich eingetretene Verluste hätte sich in einer solchen Situation die Wahrscheinlichkeit eines Schadens für die Fremdkapitalgeber von zuvor 0,01% auf 0,15% vervielfacht. Gleichzeitig wären aufgrund der Unterschreitung der Mindesteigenkapitalanforderungen Maßnahmen zur Stärkung der Kapitalbasis (bzw. zum Risikoabbau) einzuleiten gewesen.

Dieses plakative Beispiel mit fiktiven Zahlen verdeutlicht, wie relevant Ratingmigrationen über die reine Betrachtung von Marktwertschwankungen hinaus sein können.

Lösungsansätze

Bisher wird diesem Risiko in der Praxis vor allem über Stresstests, Sensitivitätsanalysen und qualitative Analysen begegnet. Basel III trägt der prozyklischen Wirkung der IRB-Eigenmittelanforderungen über den antizyklischen Puffer Rechnung und entschärft somit die oben dargestellte Situation.

Darüber hinaus kann zur weitergehenden quantitativen Fundierung das folgende Vorgehen dienen:

  • Ermittlung der Migrationsmatrizen für alle relevanten Kundengruppen
  • Simulation der möglichen Ratingwanderungen für jeden Kunden (Einjahres- / Mehrjahreshorizont)
  • Ermittlung der Mindesteigenkapitalanforderungen für jeden Kunden zu jedem relevanten Zeitpunkt gegeben die simulierten Ratingwanderungen
  • Ermittlung der Portfolioverluste durch die in die Ausfallklasse migrierten Kunden
  • Berechnung der Wahrscheinlichkeitsverteilung von
    • Portfolioverlusten (Erwarteter Verlust / Unerwarteter Verlust)
    • Mindesteigenmittelanforderungen und
    • aufsichtsrechtlicher Gesamtkennziffer.

Aus diesen Analysen ist abzuleiten, wie groß Kapitalpuffer bemessen sein sollten, wenn eine Zieleigenmittelquote (bspw. 15%) mit einem gewünschten Sicherheitsniveau (bspw. 95%) nicht unterschritten werden soll.

2 Gedanken zu „Migrationsrisiko im Kreditportfolio: Auswirkungen im Internal Ratings Based Approach

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