Als Risikocontroller erlebe ich immer wieder folgenden Dialog am Telefon:
A. Nonym: „Hallo Herr Tegelkamp, Andreas Nonym hier.“
Ich: „Hallo Herr Nonym. Was kann ich für Sie tun?“
A. Nonym: „Ich habe hier einen Kunden, da ist das Rating falsch. Der fällt doch nicht aus.“
Was habe ich darauf wohl geantwortet? Die Antwort gibt es erst am Schluss…
Wie funktioniert das überhaupt mit dem Rating?
Nehmen wir mal an, es gibt zwei wichtige Kennzahlen, sagen wir Ertrag und Substanz. Für beide Kennzahlen gelte der Wertebereich von 0 Punkten bis 50 Punkten. Dabei sei 0 Punkte der schlechteste, 50 Punkte der beste Wert. Der beste Kunde mit bestem Ertrag und stärkster Substanz hätte somit in Summe 100 Punkte. Der schlechteste Kunde ohne Ertrag und ohne Substanz würde 0 Punkte erhalten.
Sagen wir weiterhin, wir hätten einen Datensatz mit 1.000 Kunden ein Jahr beobachtet, um damit das Ratingverfahren aus den beiden Kennzahlen zu entwickeln. Zunächst schauen wir uns an, wie sich die Kunden hinsichtlich der beiden Kennzahlen verteilen.
Danach werden die Kunden rot markiert, die in unserem Beobachtungszeitraum ausgefallen sind.
Man sieht deutlich, dass bei schlechter Kennzahlausprägung die roten Punkte jeweils deutlich zunehmen. Es gibt aber auch Kunden, die in der einen Kennzahl gut abschneiden, bei der anderen Kennzahl schlecht abschneiden und ein eher gemischtes Bild abgeben. Darüber hinaus gibt es auch vereinzelte Kunden mit guten Kennzahlen, die trotzdem ausgefallen sind.
Im nächsten Schritt wollen wir die Kunden in 2 Klassen einteilen: „Gute Kunden“ mit der Ratingklasse „A“ und „Schlechte Kunden“ mit der Ratingklasse „B“.
In meinem Zahlenbeispiel hier bietet sich als intuitive Ratingfunktion eine einfache Addition der Punktwerte an. Punktwerte von 0 bis 50 werden der Ratingklasse „B“ zugeordnet, Punktwerte von 51 bis 100 der Ratingklasse „A“. Die Trennlinie ist in der folgenden Grafik blau dargestellt.
Es ergibt sich die folgende Tabelle:
Ratingklasse | Kunden | Ausfälle | Ausfallrate |
---|---|---|---|
A | 500 | 25 | 5,00% |
B | 500 | 250 | 50,00% |
Gut. Jetzt haben wir eine Ratingfunktion. Und jetzt? Richtig: Anwenden.
Anwendung des Ratingverfahrens
Das Ratingverfahren wird jetzt auf ein Portfolio mit 110 Kunden angewendet, die Bonität ist deutlich besser als im „Trainingsdatensatz“.
Ratingklasse | Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) | Kunden |
---|---|---|
A | 5,00% | 100 |
B | 50,00% | 10 |
Nochmal zur Ausgangsfrage: Ist das Ratingverfahren richtig oder falsch? Bis hierhin ist die Frage noch nicht zu beantworten, weil uns die tatsächlichen Ausfälle noch fehlen…
Validierung des Ratingverfahrens
Das Portfolio von oben mit den 110 Kunden wird ein Jahr lang beobachtet, um herauszufinden, ob die Prognose des Ratingverfahrens eingetroffen ist.
Ratingklasse | PD | Kunden | Erw. Ausfälle | Real. Ausfälle | Ausfallrate |
---|---|---|---|---|---|
A | 5,00% | 100 | 5 | 5 | 5,00% |
B | 50,00% | 10 | 5 | 5 | 50,00% |
Durch einen wunderbaren Zufall trifft in unserem Beispiel in jeder der beiden Ratingklassen die Prognose exakt ein. Da die Ausfallwahrscheinlichkeit perfekt zur Ausfallrate passt, ist das Rating gut kalibriert.
Das bringt uns wieder zu der Frage des Herrn Nonym: Ist das Ratingverfahren „richtig“? Auf Ebene des Gesamtportfolios sieht es ja ganz gut aus, oder?
Der Kunde von Herrn Nonym gehört zur Ratingklasse B und hat damit eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 50,00%. Nach dem Beobachtungszeitraum ist er entweder ausgefallen, oder nicht. Im ersteren Fall wäre eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 100,00% die einzig richtige gewesen, im letzteren Fall eine von 0,00%. 50,00% ist in jedem Fall falsch.
Fazit
Wie habe ich also geantwortet?
Ich: „Herr Nonym, da haben Sie recht. Für den einzelnen Kunden ist das Rating immer falsch. Auf Portfolioebene passt es dann aber wieder….“