Einleitung
Die BaFin fordert in der Publikation „Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte“ in der Tz. 91, dass in der Risikotragfähigkeit zum Adressenausfallrisikodie grundsätzlich auch Migrationsrisiken zu analysieren sind. Doch was genau ist Migrationsrisiko überhaupt?
[1] Ratingmigration ist die Veränderung der Bonität eines Schuldners, ausgedrückt über eine Veränderung der Ratingeinstufung und damit der Ausfallwahrscheinlichkeit.
Mit Hilfe sog. Migrationsmatrizen (siehe Abbildung) lässt sich für jede Ratingklasse ermitteln, wie wahrscheinlich die Migration in andere Ratingklassen mit dem Horizont von einem oder mehreren Jahren ist. Man kann aus diesen Matrizen die Wahrscheinlichkeit eines Upgrades (=Migration in eine bessere Ratingklasse) und die Wahrscheinlichkeit eines Downgrades (=Migration in eine schlechtere Ratingklasse) ableiten.
[2] Risiko ist die (negative) Abweichung vom Erwartungswert.
Da man wie oben beschrieben die Migrationen messen kann, lässt sich ein Erwartungswert ableiten. Insofern handelt es sich zunächst nicht um ein Risiko, da ja bekannt ist, dass sich Bonitäten ändern und mit Hilfe von Erfahrungswerten angemessene Vorkehrungen getroffen werden können. Ein Risiko entsteht dann, wenn, wie regelmäßig der Fall, die Erwartung nicht exakt eintritt und die tatsächliche Migration sich zufällig einstellt. Ein (negatives) Risiko tritt also erst dann ein, wenn mehr Schuldner in schlechte Ratingklassen migrieren, als erwartet.
Bei Kombination der Definitionen [1] und [2] ergibt sich:
[3] Migrationsrisiko ist die Gefahr von Abweichungen von der erwarteten Ratingmigration.
Der Ausfall (=Zahlungsunfähigkeit) des Schuldners stellt dabei die extremste Form der (negativen) Migration dar.
Ursachen für Migrationen im Kreditrisiko
In der Theorie ist die (nicht beobachtbare) Veränderung der wahren Bonität des Schuldners für die Migration verantwortlich. Dies gilt jedoch nur genau dann, wenn das verwendete Ratingsystem die wahre Bonität auch misst. In der Realität werden nachlaufende Bilanzdaten oder Analysteneinschätzungen die Ergebnisse des Ratingverfahrens bedingen, so dass die Ratingmigration zeitlich versetzt zur Veränderung der wahren Bonität des Schuldners erfolgen wird.
Je nach konkreter Ausgestaltung des Ratingverfahrens (Point-in-Time (PiT) oder Through-the-Cycle(TtC)) kann auch die Veränderung in der Einschätzung des systematischen Risikos zu einer mit dem Konjunkturzyklus schwankenden Prognose der Ausfallwahrscheinlichkeiten (und somit Ratingmigrationen) führen.
Falls die Prognose der Ausfallwahrscheinlichkeiten sich im Zeitablauf als unpassend erweist, kann über eine Adjustierung der Kalibrierung oder auch eine vollständige Neuentwicklung des Verfahrens eine systematische Anpassung vorgenommen werden. Im Ergebnis resultieren hieraus ggf. deutliche Ratingänderungen, die sich in allen relevanten Steuerungskreisen niederschlagen.
Auswirkungen
Die Migration von Schuldnern kann verschiedene Folgen haben (die klassische verlustzentrierte Kreditrisikodefinition muss daher erweitert werden):
Buchhalterische Perspektive
Mit buchalterischer Perspektive ist die Wirkung auf Bilanz und insbesondere die Gewinn- und Verlustrechnung gemeint.
Hierbei handelt es sich um die klassischen Verluste durch Ausbuchung oder Wertberichtigung der Forderung, die sich unmittelbar in der Gewinn- und Verlustrechnung niederschlagen.
Die Veränderung der Bonität hat Einfluss auf den Wert des Zahlungsstroms, so dass je nach Bilanzierungsregel durch die Ratingmigration zumindest buchhalterisch Verluste anfallen.
Aufsichtsrechtliche Perspektive
In dieser Sicht geht es um die Wirkung auf die aufsichtsrechtlichen Eigenmittel und die Mindesteigenmittelanforderungen.
Ratingmigrationen werden über die Veränderung des Wertberichtigungsvergleichs unmittelbar in den verfügbaren Eigenmitteln wirksam (und damit in der Gesamtkennziffer).
Über die IRBA-Mindesteigenmittelanforderungen gehen mit schlechten Ratings höhere Eigenmittelanforderungen einher.
Ökonomische Perspektive
Die Auswirkungen an dieser Stelle sind abhängig von der konkreten Ausgestaltung der Risikotragfähigkeitsrechnung.
Buchhalterische Verluste (siehe oben) zehren die Risikodeckungsmasse auf.
Ratingmigrationen verändern die Ratingverteilung, damit wiederum geht ein ggf. höherer Risikoausweis einher. Auch ökonomisch werden also tendenziell höhere Kapitalanforderungen schlagend.
Fazit
Migration ist nicht per se ein Risiko. Migrationsrisiko ist unerwartete Migration (und die daraus entstehenden unerwarteten Folgen).
Sind ausfallinduzierte Verluste nicht klassisches Adressenausfallrisiko?